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Studie: Gewalt gegen Polizeibeamte

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Schleswig-Holstein - 2020 waren die 1280 Fälle bekannt geworden - Symbolfoto: Foerde.news

Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB) sehen sich im Rahmen ihrer täglichen Arbeit immer wieder sowohl mit verbaler als auch mit physischer Gewalt konfrontiert. Erkenntnisse über das Zustandekommen dieses Phänomens sind daher für die Polizei von großem Interesse. Zudem bestehen hinsichtlich des quantitativen Ausmaßes, in welchem PVB von Gewalt betroffen sind, deutliche regionale Unterschiede. In Schleswig-Holstein zeigt sich bezogen auf die Anzahl an Fällen, Betroffenen und Verletzten in den offiziellen Statistiken bereits über lange Zeit hinweg eine erhöhte Belastung für die Hansestadt Lübeck.

Von 2015 bis 2018 zeigte sich für Schleswig-Holstein ein Wiederanstieg von Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte von 1.084 auf 1.290 registrierte Fälle. Auch die jährliche Zahl der von Gewalt Betroffenen stieg in diesem Zeitraum von 2.014 auf 2.658 erheblich an. Für die Zahl der Verletzten zeigte sich eine leichte Zunahme von 355 auf 396. Die Zahlen für 2019 waren erfreulicherweise mit 1254 registrierten Fällen, 2613 von Gewalt Betroffenen und 386 Verletzten wieder leicht rückläufig. Für 2020 hat sich allerdings mit 1280 Fällen, 2872 von Gewalt Betroffenen und 438 Verletzten wieder ein deutlicher Anstieg ergeben. Vor diesem Hintergrund wurde durch die Polizeidirektion Lübeck und das Landespolizeiamt ein Forschungsprojekt angeschoben, das durch die kriminologische Forschungsstelle des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein in den Jahren 2018 und 2019 durchgeführt wurde. Die gewonnenen Erkenntnisse konnten zur Erklärung der regionalen Besonderheiten der Hansestadt Lübeck beitragen. Außerdem wurden Maßnahmen zur möglichen Verringerung von Gewalt gegen PVB für die Landespolizei Schleswig-Holstein abgeleitet und teilweise bereits umgesetzt. Dazu gehören die strukturelle Einsatznachbereitung, der Ausbau bestehender und die Entwicklung neuer Aus- und Fortbildungskonzepte für den Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern in konfliktbehaften Einsatzsituationen und die Fürsorge hinsichtlich betroffener Polizistinnen und Polizisten.

Methoden

Aufbauend auf einem differenzierten Lagebild wurden fünf mögliche Ursachenbereiche für regionale Unterschiede hinsichtlich Gewalt gegen PVB untersucht. Diese sind: 1. Merkmale der Bevölkerungszusammensetzung Hierzu wurde ein statistisches Modell zur Vorhersage von Gewalt gegen PVB anhand von sozio-ökonomischen und demografischen Bevölkerungsmerkmalen entwickelt 2. Die Bewertung und die Anzeigewahrscheinlichkeit zu bestimmten Bürgerhandlungen Befragung zu typischen Einsatzsituationen (Teilnahme: 1.359 PVB) 3. Räumliche und zeitbezogene Merkmale Vergleichende Analyse georeferenzierter polizeilicher Vorgangsdaten für Lübeck und Kiel 4. Merkmale der Akteure und der Situation bei konflikthaften Einsätzen Befragung von PVB mittels eines Erhebungsbogens zu erlebten Einsätzen (604 PVB) 5. Einsatztaktik und -stärke Befragung von PVB zu

Aus- und Fortbildung, Einschreitschwellen, Einsatznachbereitung (653 PVB); sowie Analyse von Präsenzkonzepten.

Studienergebnisse

Bevölkerungszusammensetzung: Die Untersuchung zeigte, dass dem Urbanitätsgrad und dem allgemeinen Ausmaß an Straßenkriminalität in einer Region eine wesentliche Rolle für das Zustandekommen von Gewalt gegen Polizeibeamte zukommt.

Je höher die Straßenkriminalität und je urbaner eine Region, desto mehr Gewalt gegen PVB wird verzeichnet. Aber auch weitere Merkmale der Bevölkerung und der Kommunen wie zum Beispiel der Anteil an Suchtkranken, die Verschuldung der kommunalen Kernhaushalte, der Anteil an Empfängern von Sozialleistungen und die Arbeitslosenquote von Männern gehen mit einem erhöhten Aufkommen von Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten einher. Merkmale wie das Betreuungsangebot durch öffentliche Kitas und das Einkommen der Privathaushalte hängen hingegen mit einem geringeren Gewaltaufkommen zusammen. Laut dem durch die kriminologische Forschungsstelle entwickelten Gesamtmodell ist für Lübeck aufgrund der kommunalen und bevölkerungsbezogenen Merkmale rechnerisch das höchste Aufkommen von Gewalt gegen PVB im Bundesland zu erwarten. Das tatsächlich registrierte Ausmaß an Gewalt lässt sich jedoch nicht vollständig mit diesen Merkmalen erklären, sodass hier weitere Ursachen zum Tragen kommen müssen.

Anzeigewahrscheinlichkeit:

Als eine weitere Teilursache konnten Unterschiede in den Anzeigewahrscheinlichkeiten der PVB zwischen den Regionen identifiziert werden.

So zeigte sich, dass die Schutzpolizistinnen und -polizisten in Lübeck bei Widerstandsdelikten gegen PVB in etwa dieselbe Anzeigewahrscheinlichkeit aufweisen, wie in den schleswig-holsteinischen Landkreisen. In den anderen drei kreisfreien Städten - Flensburg, Neumünster und Kiel - hingegen fallen die gemessenen Anzeigewahrscheinlichkeiten geringer aus. Es erscheint plausibel, dass in Lübeck aufgrund einer tatsächlich höheren Belastung mit Gewalt gegen PVB und einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema über die letzten Jahre eine Sensibilisierung stattgefunden hat.

Überprüfung weiterer Faktoren:

In den weiteren Untersuchungsbereichen ergeben sich keine Auffälligkeiten für Lübeck, welche das erhöhte Gewaltaufkommen für die kreisfreie Stadt überzeugend erklären können. So zeigen sich unter anderem identische Einstellungen hinsichtlich Repressivität und Autorität der Beamtinnen und Beamten, sowie sich weitgehend gleichende Rahmenbedingungen der Einsätze, bei denen es zu Gewalt gegen PVB kommt. Ebenso gleichen sich die Herangehensweisen der PVB in konflikthaften Einsatzsituationen. Auch hinsichtlich der Einsatzanlässe, -orte und der zeitlichen Verteilung zeigen sich keine Besonderheiten.

Ergebnis für Lübeck:

"Als Erklärung für die Höherbelastung Lübecks kann daher ein komplexes Zusammenspiel aus spezifischen kommunalen und sozio-strukturellen Merkmalen sowie einer organisationsbezogenen Sensibilisierung und daher erhöhten Anzeigewahrscheinlichkeit angenommen werden", erklärte der Kriminalpsychologe Dr. Lars Riesner zusammenfassend. Neben der Ursachenerforschung der statistisch höheren Gewaltbelastung von PVB in Lübeck wurden aus dem Forschungsprojekt weitere Erkenntnisse gewonnen, die eine besondere Relevanz für die gesamte Landespolizei Schleswig-Holstein besitzen. So konnte beispielsweise festgestellt werden, dass der ganz überwiegende Teil der Polizeibeamtinnen und -beamten die Kompetenzen ihrer Kollegen sowohl im rechtlichen, als auch im sprachlichen und physischen Bereich positiv einschätzt. Darüber hinaus zeigt sich, dass über weite Bereiche der erfassten Merkmale hinweg (z. B. Einsatzrahmenbedingungen, Verhalten und Herangehensweise der PVB im Einsatz, Einschreitschwellen zur Anwendung von Zwangsmitteln, persönliche Einstellungen der PVB) keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten festzustellen sind: Dies spricht für einen einheitlichen Ausbildungsstand und eine den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verlässliche und einheitliche Polizeiarbeit im Land. Auch bewerten die befragten PVB die Ausstattung für den alltäglichen Einsatz als eher positiv. Aus der Studie ergeben sich außerdem Hinweise, dass PVB in Konfliktsituationen eher reagieren als agieren, woraus sich die deeskalative Grundausrichtung der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung erkennen lässt. In den Auswertungen konnten jedoch auch Sachverhalte aufgedeckt werden, denen ein deutliches Verbesserungspotential innewohnt. So ließen sich bezogen auf die Aus- und Fortbildung hinsichtlich des Umgangs mit Bürgern in konflikthaften Einsatzsituationen eher wenig zufriedenstellende Befunde konstatieren. Die Vorbereitung auf diesen Kontakt wird von weiten Teilen der PVB als unzureichend wahrgenommen (Anteil der eher bis sehr schlechten Bewertungen:

56,4 % bzgl. alkoholisierter, 66,2 % bzgl. unter Drogen stehender und 72,3 % bzgl. psychisch auffälliger Bürger). Dies ist gerade deshalb von Bedeutung, weil es genau diese Bürgerkontakte sind, in denen sich zugleich ein erhöhtes Risiko der Opferwerdung für die Polizeibeamtinnen und - beamte zeigt. Diese Problematik war polizeiintern bereits registriert worden und daher auch handlungsleitend für die Beauftragung der Studie. Abseits der Aus- und Fortbildung werden auch weitere Aspekte kritisiert. So berichten die Befragten, dass in nur etwa der Hälfte (52,6 %) der Einsätze, in denen Einsatznachbesprechungen gewünscht werden, diese auch stattfinden. Zudem wird die Struktur und der Ablauf der Einsatznachbesprechungen von größeren Teilen der Befragten als nicht zufriedenstellend bewertet. Aus diesen Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen für die Landespolizei abgeleitet.

Landespolizeidirektor Michael Wilksen: "Ein wesentlicher und wichtiger Praxisgewinn dieser wissenschaftlichen Studie ist die Entwicklung weiterer konkreter Instrumente für die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Schleswig-Holstein. So geht es vor allem um den Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern in konflikthaften Einsatzsituationen, wie auch um die Durchführung von standardisierten Einsatznachbereitungen, denn nach einem Einsatz ist vor einem Einsatz. Mein Dank geht an die Mitwirkenden, also an die PD Lübeck, die Kriminologische Forschungsstelle beim LKA und Frau Monecke. Mein Dank gilt aber auch den vielen hundert Kolleginnen und Kollegen, die an der Befragung mitgewirkt haben. Gerade der Aspekt der Beteiligung der unmittelbar Betroffenen war und ist mir wichtig."

Umsetzung von Handlungsempfehlungen

Um aus den gewonnenen Erkenntnissen der Untersuchung einen möglichst großen Nutzen für die polizeiliche Praxis zu ziehen, setzt die Landespolizei Schleswig-Holstein genau dort an, wo die befragten Polizeibeamtinnen und -beamten ein Verbesserungspotenzial sehen. Themen wie Einsatznachbereitung, Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern in konflikthaften Einsatzsituationen sowie Fürsorge hinsichtlich betroffener PVB werden seit Herbst 2019 im Rahmen des Umsetzungsprojektes der resultierenden Handlungsempfehlungen bearbeitet.

Innerhalb mehrerer Arbeitsgruppen, die aus Polizeibeamtinnen und -beamten diverser Funktionsbereiche (z. B. Einsatztrainer und Dienstgruppen- und Dienststellenleitungen) sowie aus unterschiedlichen Fachlichkeiten (z. B.Landespsychologischer Dienst, Polizeiärztlicher Dienst und Polizeiseelsorge) bestehen, werden derzeit Konzepte und/oder Leitfäden für folgende Bereiche erstellt:

Einsatznachbereitung:

Angesichts der Ergebnisse zur Zufriedenheit mit der bisherigen Nachbereitung von Einsätzen wird ein Rahmenkonzept und ein Leitfaden für eine strukturierte Einsatznachbereitung im alltäglichen Dienst entwickelt. Inhaltliche Schwerpunkte liegen hierbei auf der konstruktiven Auseinandersetzung mit der erlebten Einsatzsituation, einer möglichen Optimierung des Handelns für künftige Einsätze und damit einer Stärkung der Handlungssicherheit von PVB. Bestandteil der leitfadenbasierten Nachbereitung wird auch ein Fortbildungskonzept für die direkte Führungsebene (Dienstgruppen- oder Stationsleitungen), die üblicherweise für Einsatznachbereitungen zuständig sind.

Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern in konflikthaften Einsatzsituationen

Auf die Befunde zur Zufriedenheit mit der Vorbereitung auf konflikthafte Einsätze wird mit einem Ausbau bestehender und/oder der Entwicklung neuer Aus- und Fortbildungskonzepte explizit für den Umgang mit Bürgern in konflikthaften Einsatzsituationen reagiert. Darunter können Situationen fallen, an denen z. B.

psychisch auffällige, alkoholisierte, unter Drogen stehende oder emotional aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind. Mit dem Ziel, Polizeibeamtinnen und -beamten noch mehr Handlungssicherheit für solche alltäglichen Einsatzlagen zu vermitteln, werden hier vor allem zwei Schwerpunkte gesetzt. Zum einen ist das Erkennen des Zustands und eine entsprechende Einordnung (z.B. bei psychisch auffälligen Personen) wichtig, zum anderen eine angepasste Art der Gesprächsführung.

Konzept zur Verminderung von Belastungsreaktionen

Ein weiterer Bedarf, der aus dem Forschungsprojekt hervorgegangen ist, betrifft die Berücksichtigung der Fürsorge gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Um Belastungsreaktionen von Polizeibeamtinnen und -beamten zu vermindern, sollten entsprechende Symptome (z.B. Stressreaktionen)

frühzeitig(er) erkannt und erweiterte Handlungsoptionen für Kolleginnen und Kollegen und auch für Vorgesetzte bereitgestellt werden. Beide Aspekte fließen in ein entsprechendes Konzept ein und bedeuten unter anderem die Etablierung weiterer (Fortbildungs-)Maßnahmen. "Ziel des Projektes ist es also, Gewaltsituationen idealerweise vorzubeugen und die Polizeibeamtinnen und -beamte bestmöglich auf gegen sie gerichtete Angriffe vorzubereiten. Auch die sorgfältige einsatztaktische Nachbereitung entsprechender Ereignisse ist ein wichtiger Baustein der Handlungsempfehlungen, die wir aus den Studienergebnissen ableiten" erläutert Diplompsychologin Lisa Monecke, die im Landespolizeiamt die fachliche Leitung für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen hat.

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